10 Jahre FBW-Jugend Filmjury (JFJ)

Jugendliche aus Lüneburg in der Nominierungsjury für den Kindertiger

Carlotta und Annelie gucken am liebsten Fantasy-Filme. Die beiden 11-Jährigen aus Lüneburg gehen in die sechste Klasse des Gymnasiums Oedeme und engagieren sich in ihrer Freizeit seit einem Jahr in der Film-AG ihrer Schule, die seit 2014 Teil des bundesweiten Netzwerkes FBW-Jugend Filmjury ist. Dort sehen sich fünfzehn Kinder und Jugendliche aus der fünften bis neunten Klasse regelmäßig Kinder-und Jugendfilme vor Kinostart an und schreiben Bewertungen und Empfehlungen für die Deutsche Film und Medienbewertung FBW. Sie sind eine von insgesamt elf FBW-Jugend Filmjurys in Deutschland. Und es macht sie stolz, dass ihre Bewertungen im Lüneburger Programmkino SCALA und darüber hinaus auch bundesweit in Presse und Kinoinformationen zu sehen und zu lesen sind.

Im letzten Jahr haben sich Carlotta und Annelie allerdings nicht nur mit fertigen Filmen beschäftigt sondern Drehbücher gelesen, analysiert und bewertet. Zusammen mit vier weiteren Jugendlichen zwischen 11 und 13 Jahren, alle aus ihrer Film-AG, bildeten sie die Nominierungsjury für den diesjährigen Kindertiger. Der Drehbuchpreis für Kinderfilme, initiiert von der Filmförderungsanstalt (FFA) und verliehen von Vision Kino und dem KiKa, wird seit 2008 von einer Kinderjury vergeben. Seit 2018 treffen Mitglieder der FBW-Jugend Filmjurys die Vorauswahl und verkünden die drei Nominierungen.

Die Jugendlichen aus Lüneburg hatten die Aufgabe, aus sechs verfilmten Drehbüchern (eine Vorjury aus Erfurter und Berliner FBW-Jurymitgliedern hatte die aus insgesamt fünfzehn Einreichungen ausgewählt) die besten drei für ihre jungen Kolleg*innen der Hauptjury in Berlin zu bestimmen. Eine große Verantwortung, immerhin entschieden sie damit auch über das Preisgeld: Für die Nominierung allein erhielten die Autor*innen 5000 Euro.

Das bedeutete für Carlotta und Annelie sowie Konrad, Marte, Moritz, und Henriette: Sie haben in ihrer Freizeit sechs Drehbücher gelesen, sich nach einem vorgegebenen Fragenkatalog Notizen gemacht und dann an drei Wochenenden zusammen mit Eva-Maria Schneider-Reuter und Suse Schweizer, Filmvermittlerinnen und FBW-Juryleiterinnen in Erfurt und Berlin, die Bücher besprochen und analysiert.

„Wir haben den Jugendlichen u.a. die Heldenreise als dramaturgisches Muster vermittelt und die Dreiaktstruktur erläutert. Auf diese Weise konnten sie Strukturelemente erkennen und die Drehbücher professionell miteinander vergleichen“ erklärt Eva-Maria Schneider-Reuter, die sehr beeindruckt war vom Engagement der Gruppe aus Lüneburg.

Neben der Struktur hat sich die Gruppe auch intensiv mit den Dialogen beschäftigt und viele Szenen mit verteilten Rollen gelesen. Eva-Maria-Schneider-Reuter: „Die Jugendlichen haben so ganz unmittelbar erfahren, ob die Texte einfach „aus einem rausflutschen“, ob also Rhythmus und Sprachfluss funktionieren, und „ob die Oma anders spricht als die Enkelin“ und die Dialoge zu den Figuren passen.“

Für alle drei von ihnen ausgewählten Drehbücher haben die Mitglieder der Nominierungsjury ausführliche Begründungen verfasst, die auf der Seite der FBW nachgelesen werden können.

Entschieden haben sich Annelie, Carlotta und ihre Mitschüler*innen schließlich für MISSION ULJA FUNK von Barbara Kronenberg, DIE MUCKLAS UND WIE SIE ZU PETTERSSON UND FINDUS KAMEN von Thomas Springer und NACHTWALD von Katrin Milhahn und André Hörmann, die den Kindertiger 2023 gewannen und damit ein Preisgeld in Höhe von 20 000 Euro.

Annelie und Carlotta hat ihre Jury-Tätigkeit viel Spaß gemacht, auch wenn sie manchmal anstrengend und sehr zeitintensiv war. Aber das haben sie gerne auf sich genommen, denn am Ende lockte eine Reise nach Berlin: „Wir sind zusammen mit Herrn Seemann, dem Leiter der FBW-Jugend Filmjury aus Lüneburg, und seiner Frau nach Berlin gefahren. Dort haben wir zu den Drehbüchern, die wir ausgewählt haben, einen Workshop mit Schüler*innen aus Berlin abgehalten und zu zweit eine Zusammenfassung des Drehbuchs vorgestellt. Toll war, dass auch die Autor*innen dabei waren und alle ihnen Fragen stellen konnten.“ Das große Highlight zum Abschluss war natürlich die Preisverleihung, bei der die Nominierten ihre Improvisationsfähigkeiten beweisen mussten, sehr zur Unterhaltung der Kinder im Publikum.

Während der Arbeit an den Drehbüchern durften die Mitglieder der Nominierungsjury die fertigen Filme übrigens nicht anschauen. Erst anschließend konnten sie gucken und waren teilweise sehr überrascht: „Bei manchen Filmen haben uns die Figuren in unserem „Kopfkino“ viel besser gefallen als im tatsächlichen Film“, erzählen Annelie und Carlotta.

Auch, wenn es viel Arbeit war, würden sie im nächsten Jahr gerne nochmal in der Jury mitmachen und nach Berlin fahren. Aber beruflich wollen sie ich später nicht mit Film beschäftigen: „Das soll unser Hobby bleiben.“

Text: Cornelia Köhler

Foto: Jana Mila Lippitz

Hintergrund:

Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW), hat als obere Landesbehörde den Auftrag aller Bundesländer, qualitativ herausragende Filme mit den Prädikaten „wertvoll“ und „besonders wertvoll“ auszuzeichnen. Bei den Jurysichtungen von Kinder- und Jugendfilmen interessieren sich die Jurymitglieder (darunter auch viele Experteninnen und Experten aus Niedersachsen, s.u.) immer wieder dafür, wie die Filme bei der jungen Zielgruppe selbst aufgenommen werden. Im Jahr 2014, nach zwei Jahren Vorbereitungszeit, gründete die FBW, mit dem Ziel der kulturellen Teilhabe der jungen Zielgruppe, die ersten sechs FBW-Jugend Filmjurys in Niedersachsen und anderen Bundesländern als bundesweites Netzwerk.

Ein Ziel ist seither, durch die altersgerechte Bewertung des kompletten Kinder- und Jugendprogramms die Bedürfnisse und Wünsche des heranwachsenden Kinopublikums zu erfahren. Gleichzeitig sollen die differenzierten Bewertungen auch der Orientierung für Kinder und Jugendliche, Eltern, Filmvermittelnde, Lehrkräfte und nicht zuletzt als Feedback für die Filmbranche dienen. Welche Themen und Inhalte erachtet das junge Publikum im breiten Angebot als relevant? Und welche Formen der filmischen Gestaltung finden ihr Interesse? Mit einer Altersempfehlung, ergänzend zur FSK, geben die Jurys zudem Hinweise, ab welchem Alter Kinder Zugang zu den Filmen finden können und ab wann ein Film für sie interessant und lohnend ist. Neben klassischen Themen wie Freundschaft und Familie stehen auch aktuelle Themen wie Diversität oder Klima hoch im Kurs. Bestbewertungen werden für anspruchsvolle Filmkunst als auch für gut gemachte Unterhaltung vergeben. Oberstes Prinzip war von Beginn die Formulierung eigener Kriterien. Die Zielgruppe selbst wird für den Kulturort Kino und das Reflektieren über Filme begeistert– auf Augenhöhe, angeregt von den Bewertungen Gleichaltriger.

Das Lüneburger SCALA Programmkino und Joachim Seemann, Lehrer am Gymnasium Oedeme, wurden JFJ-Partner der ersten Stunde, auch durch die Vermittlung des SchulKinoWochen-Leiters Jörg Witte, der das Konzept FBW-Jugend Filmjury mit aus der Taufe gehoben hatte. Durch eine von Joachim Seemann ins Leben gerufene Schul-AG konnten die ersten Lüneburger Jurymitglieder bereits 2014 an der initialen Pressekonferenz auf der Frankfurter Buchmesse teilnehmen. Seither sichten die Mitglieder der Lüneburger JFJ alle 4-6 Wochen im Scala Programmkino deutsche und internationale Filme noch vor Kinostart. Ihre gemeinsam verfassten Bewertungen und Altersempfehlungen werden umgehend auf der Homepage www.jugend-filmjury.com veröffentlicht. Stand heute: über 500 Jurytexte, die Kinos und Presse noch vor Kinostart einsetzen können.

Die Mitglieder der Lüneburger Jury werden regelmäßig auch zu großen Kulturevents eingeladen wie: Filmkunstmesse Leipzig, Filmpremieren beim Filmfest Hamburg, Filmtage Uelzen, Sehpferdchen Hannover/Göttingen, Nordische Filmtage oder auch als Gäste beim Film- und Medienforum Niedersachsen. Ermöglicht werden diese von Filmvermittlerinnen und Pädagogen begleiteten Aktivitäten durch die Unterstützung der Förderer. Für Niedersachsen gilt der Dank: dem Film& Medienbüro Niedersachsen mit den SchulKinoWochen, der Niedersächsischen Staatskanzlei und nordmedia.

Das Jahr 2023 wurde für die FBW-Jugend Filmjurys zu einem Rekordjahr. Bundesweit bewerteten die mittlerweile 13 Jurys insgesamt 75 Filme und ermöglichten so der jungen Zielgruppe ab 3 Jahren, aber auch der älteren Zielgruppe 14+, einen unabhängigen Überblick über die große Vielfalt des Kinoangebots. Branche und Publikum können mit dem JFJ-Newsletter und über Social Media auf dem Laufenden bleiben und sich für die passenden Kinotermine in der eigenen Nähe den Filmwecker stellen. Und auch die FBW nutzt ihre Kommunikationskanäle, um regelmäßig über die Arbeit ihrer JFJ zu informieren.

Bettina Buchler

Kasten

Facts and Figures:

Standorte der FBW-Jugend Filmjurys: Lüneburg und Berlin (je eine ältere und eine jüngere Jury), Chemnitz, Erfurt, Saalfeld, Marburg, Frankfurt, Oberhausen, Münster, Backnang, München.

Juryalter der jungen Jurys: 10-13 Jahre und der älteren Jurys 14-18 Jahre

www.jugend-filmjury.com umfasst über 500 deutsche und internationale Filme seit 2014

Bei den „erwachsenen“ FBW-Jurys bewerten 85 Jurymitglieder aus ganz Deutschland die eingereichten Filme, darunter auch acht aus Niedersachsen entsandte Mitglieder: Norbert Bourgeon, Adele Mecklenborg, Jörg Witte, Andreas Utta, Alexandra Schatz, Franziska Pohlmann, Henning Kunze, Prof. Bernd Schmidt